Die geringe Reichweite war bisher immer ein starkes Argument gegen den Kauf eines E-Autos. Doch mittlerweile steigen die Verkaufszahlen rasant an. Bis 2030 sollen Elektroautos im Klimaschutz eine entscheidende Rolle spielen. Doch ist das hinsichtlich der notwendigen Infrastruktur überhaupt realistisch?
Der neue ID3 von Volkswagen gilt in der E-Mobilität als neuer Hoffnungsträger. Mittlerweile hat Vorstandschef Herbert Diess persönlich die Rolle eines Internet-Influencers übernommen. Der Konzernchef hat auf LinkedIn, einem bekannten Karrierenetzwerk, begeistert von seiner Urlaubsfahrt mit dem ID3 von München an den Gardasee berichtet. In seinem Bericht geht er auf die Reichweitenangst ein, die viele Interessenten bisher vom Kauf eines E-Autos abgehalten hat. „Die großen Sorgen vieler: Wo kann ich laden? Wie lange dauert das? Was kostet das?“, schreibt Diess. „Der Realitätscheck: Das Laden geht sehr gut und schnell.“
Es ist tatsächlich so, dass sich Diess ganz entspannt auf den Weg machen konnte, denn zwischen München und Sirmione am Gardasee gibt es auf der gesamten Route Hunderte Lademöglichkeiten. Direkt an der Autobahn stehen alle 50 Kilometer Schnellladesäulen mit einer Leistung von mehr als 100 Kilowattstunden. Somit ist der ID3 in 30 Minuten wieder für weitere 300 Kilometer einsatzbereit - eine realistische Fahrweise vorausgesetzt.
Ladesäulen auf Hinterhöfen von Raststätten versteckt
Allerdings wurde auch Diess mit einem Problem konfrontiert, das viele E-Auto-Fahrer bereits kennen und das auch vor Tesla nicht haltmacht. Die Autofahrer werden von ihren Navis meistens nicht direkt an die auf den Hinterhöfen von Raststätten versteckten Ladesäulen gelotst. „Da gibt es aktuell bei einigen noch ca. 200 Meter Diskrepanz“. Eine wichtige Aufgabe, um deren Lösung Diess seine Ingenieure nun bittet. Aber nach eingehender Suche wurde auch der VW-Vorstandsvorsitzende immer fündig.
Erfreulicherweise ist die Strecke zum Gardasee keine Ausnahme mehr. Mittlerweile gibt es für die knapp 150.000 zugelassenen reinen Elektrofahrzeuge ein dichtes Ladenetz entlang der Autobahnen. Werden die sogenannten Plug-in-Hybride hinzugezählt, die sowohl elektrisch als auch mit Verbrennmotor fahren können, gibt es in Deutschland aktuell etwa eine Viertelmillion Elektroautos. Die Bundesregierung plant, dass in Zukunft wesentlich mehr Bürger nur noch rein elektrisch auf Deutschlands Straßen unterwegs sind.
Ziel 2030: 40 Prozent aller Neuwagen sollen E-Autos sein
Damit die selbst gesteckten Klimaziele im Verkehrssektor bis 2030 erreicht werden können, müssten bis dahin 30 bis 40 Prozent aller Neuwagen rein elektrisch fahren. Für den kompletten Fahrzeugbestand ist in diesem Zusammenhang geplant, den Anteil von E-Fahrzeugen von aktuell 0,3 auf sieben Prozent und bei Plug-in-Hybriden auf zwei Prozent zu steigern. Der Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase im Verkehr bewegt sich bislang immer noch auf dem Niveau von 1990, ist also kaum gesunken. Der Einspareffekt moderner Motoren wird durch eine Zunahme stärkerer Autos und Lkw auf Deutschlands Straßen wieder zunichtegemacht.
Umso mehr werden E-Autos inzwischen als der entscheidende Hebel zur Senkung des Treibhausgas-Ausstoßes im Verkehr gesehen, der gut 20 Prozent der Gesamtbelastung ausmacht. Um die Anreize für den Kauf von Stromern zu erhöhen, hatte die Bundesregierung die Kaufprämie für reine E-Autos im Rahmen des Konjunkturprogramms in der Coronakrise auf bis zu 9000 Euro erhöht. Davon kommen 3000 Euro vom Hersteller - und das mit Erfolg: Trotz Einbruchs des Kfz-Markts um fünf Prozent im Juli sind die Neuzulassungen reiner E-Fahrzeuge um 17.000 Fahrzeuge (+ 180 Prozent) gestiegen. Benziner und Diesel mussten hingegen ein Minus von etwa 20 Prozent hinnehmen.
Lademöglichkeiten in Wohnanlagen nicht zufriedenstellend
Die Praxis hat, bezogen auf die Ladenetz-Infrastruktur, allerdings ganz andere Probleme zutage gebracht. Nahezu 40 Prozent deutscher Autobesitzer wohnen in Mehrfamilienhäusern. Deshalb ist von der Koalition geplant, bereits im Herbst die Einrichtung von Ladestationen in Wohnanlagen spürbar zu erleichtern. So soll beispielsweise bei Eigentümerversammlungen zukünftig keine einstimmige Zustimmung für die Installation mehr erforderlich sein. Dem Mieter solle das Recht auf eine Lademöglichkeit eingeräumt werden, allerdings auf eigene Kosten.
Nichtsdestotrotz wird die Bedeutung hinsichtlich der Einrichtung von öffentlichen Ladepunkten zunehmen. Bereits jetzt gibt es gegen Gebühr deutschlandweit mehr als 18.000 öffentlich zugängliche Ladesäulen mit insgesamt mehr als 52.000 sogenannten Ladepunkten (Anschlüssen), die bis 2030 auf eine Million ausgebaut werden sollen. Der Ausbau geht bisher sehr schnell voran, da 60 Prozent der Investitionskosten durch Gelder des Bundes bezuschusst werden. In den vergangenen drei Jahren ist eine Verdreifachung hinsichtlich der Anzahl von Ladesäulen erfolgt.
Tarifdschungel undurchsichtig
Ähnlich unübersichtlich wie bei Handy-Tarifen hat sich die Preistransparenz an den öffentlichen Elektro-Ladesäulen entwickelt, mit denen E-Auto-Fahrer zu kämpfen haben. Einer Studie des Wirtschaftsberatungsunternehmens Prognos zufolge zahlt zum Beispiel der Fahrer eines Hyundai Kona auf Basis eines Vertrags mit EnBW bei einer jährlichen Fahrleistung von 15.000 Kilometern 300 Euro für Strom, bei Eon hingegen knapp 500 Euro. Vielfahrer bekommen die Unterschiede noch deutlicher zu spüren. Abhängig vom Anbieter kann es bei gleicher Strommenge einen Unterschied von bis zu 900 Euro pro Jahr geben.
Die Lösung könnte darin liegen, dass Ladesäulenbetreiber zukünftig wie Sprit-Tankstellen ihre Preise an die Markttransparenzstelle der Bundesnetzagentur übermitteln müssen. Dann könnte es im Sinne von mehr Transparenz schon bald aktuelle Preisvergleich-Apps für den E-Auto-Strom geben.
Quelle: www.augsburger-allgemeine.de